7. Juni 2013

Die Euro- Bombe


Der deutsche Volkswirtschaftsprofessor und renommierte Währungsexperte Wilhelm Hankel gehört zu den Euro-Kritikern der ersten Stunde. Zusammen mit den Ökonomen Joachim Starbatty und Wilhelm Nölling und dem Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider legte er vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde zunächst gegen die Euro-Einführung, später gegen die Euro-Rettungsschirme und die Griechenlandhilfe ein.

Nun hat Professor Wilhelm Hankel ein Buch vorgelegt, das den Königsweg aus der Euro-Krise weist. Das Buch trägt den gleichsam explosiven wie verheißungsvollen Titel: “Die Euro-Bombe wird entschärft”. Es liefert einen konstruktiven Vorschlag, wie das Euro-Desaster doch noch eine Episode der europäischen Einigung mit Happy End werden kann.

Zu diesem Zweck schlägt Hankel vor, ein Parallelwährungssystem in der gesamten EU zu errichten, das an das Europäische Währungssystem mit dem Euro-Vorgänger ECU als fixer Verrechnungseinheit anknüpft. Alle Mitgliedstaaten der Eurozone sollen ihre nationale Währung wieder einführen, aber zugleich den Euro nicht nur als Verrechnungseinheit und Wechselkursbezugsbasis, sondern auch als parallel umlaufendes gesetzliches Zahlungsmittel behalten. Gleichzeitig sollen die EU-Staaten, die sich bisher in der Vorkammer des Euro befanden und sich beim EU-Beitritt vertraglich verpflichtet hatten, den Euro einzuführen, wie Polen oder Ungarn und diejenigen Staaten, die sich schon in ihrer Rolle als EU-Mitglieder gegen die Euro-Einführung aussprachen wie Großbritannien oder Dänemark, den Euro als Verrechnungseinheit, Wechselkursbezugsbasis und gesetzliche Parallelwährung einführen. Somit würden in den Mitgliedsländern die jeweilige nationale Währung und der Euro parallel umlaufen. Dabei würde der Euro als unverrückbar festes und unveränderliches, d. h. nicht abwertbares (“goldgleiches”) “Urmetermaß” definiert. Die EZB würde neue Euro nur gegen Ankauf und Einzug bereits im Markt zirkulierender nationaler Währungen ausgeben. Die von den nationalen Zentralbanken emittierten nationalen Währungen können gegenüber diesem “künstlichen Goldstandard” nur abwerten, nicht aufwerten. Nur untereinander können sie auf- und abwerten. Das Ventil der flexiblen Wechselkurse würde den Druck aus EU-Staaten in wirtschaftlichen Schwächephasen lassen und eine dem Reformtempo des Landes angemessene Anpassung erlauben. Starke Währungen und somit starke Kaufkraft sind folglich der Lohn für gut wirtschaftende Länder, schwächere Währungen und somit schwächere Kaufkraft die Quittung für Reformunwillen. Zugleich hätten alle EU-Bürger jederzeit die Möglichkeit, ihre Ersparnisse im auf ewig stabilen Euro anzulegen. Die Möglichkeit, innerhalb der EU in Euro zu zahlen bliebe bestehen, ebenso wie die Möglichkeit, EU-interne Finanztransaktionen in Euro vorzunehmen.

Dieses Modell hat eine ganze Reihe großer Vorteile gegenüber dem jetzigen System: Existenzielle Währungskrisen, wie wir sie zurzeit im Euro-Raum erleben, sind auf Dauer nahezu ausgeschlossen, weil jede nationale Währung gegenüber der anderen und dem Euro abwerten kann.
 

Der Übergang in das Parallelwährungssystem lässt sich ferner ohne Währungsreformen mit katastrophalen Folgen bewerkstelligen. Da der Euro erhalten bleibt, bleiben Bankenanstürme und damit Staatsbankrotte aus.
Die Rettungsschirme und bilateralen Hilfen erübrigen sich. Die EU kehrt zur No-Bailout-Klausel zurück. Risiko und Haftung der Staaten sind wieder in einer Hand.
Statt durch die technokratische “Troika” (bestehend aus EU-Kommission, EZB und IWF) erfolgen Strafen für ausbleibende Strukturreformen über die “Schwarmintelligenz” des Marktes durch die Abwertung der jeweiligen Währung. Dieses unerbittliche und unmissverständliche Signal setzt ein Land unverzüglich unter Druck, Strukturreformen durchzuführen, ohne die Leidensfähigkeit seiner Bürger wie im Falle Griechenlands überzustrapazieren. Dieses Reformsignal der abwertenden Währung ist stets konsequent und unterliegt keinen politischen Gesetzen wie die Reformberichte der “Troika”, die aus diplomatisch-politischen Gründen und aufgrund nationaler Interessen meist weichgespült sind. Hoffungslos zum Scheitern verurteilte Jahrespläne aus Brüssel und politische Reformauflagen erübrigen sich, da der Markt schlecht wirtschaftende Länder automatisch sanktioniert.
 

Die automatische Sanktion durch den Markt ermöglicht eine Erfolg versprechende bottom-up-Lösung. Die Länder in Schwierigkeiten wissen selbst am besten, wie sie aus der Misere wieder herauskommen. Sie werden nicht länger durch die europäischen Geberländer kujoniert, sondern entscheiden souverän und demokratisch, welche Reformen notwendig sind. Ihre Bürger haben den Eindruck, selbst über das Reformausmaß zu entscheiden und nicht länger von außen gegängelt zu werden. Hakenkreuze und anti-deutsche Parolen bei Demonstrationen gehören der Vergangenheit an.
 

Trotz Abwertung der nationalen Währung haben die Bürger der schlecht wirtschaftenden Länder nach wie vor die Möglichkeit, ihre Ersparnisse im auf ewig stabilen Euro anzulegen. Der europäische Sparer wird so nicht länger durch Inflation quasi-enteignet. Das Parallelwährungssystem eröffnet die Chance, dass der ramponierte Ruf des Euro in sein Gegenteil verkehrt wird. Der Euro wird sich schnell den Ruf einer Fluchtwährung erarbeiten, der man vertrauen kann. Der Währungswettbewerb führt zu einem Stabilitätswettlauf der nationalen Währungen nach oben.
 

Das Parallelwährungssystem ist das einzige Modell, mithilfe dessen die Euro-Verteidiger einigermaßen gesichtswahrend aus dem derzeitigen Euro-Desaster herauskommen. Denn der Euro bleibt erhalten. Dies besänftigt alle diejenigen Spitzenpolitiker, die den Euro zu einem Teil ihres Lebenswerks gemacht haben. Den Staaten in Schwierigkeiten bleibt die Schmach des Euro-Austritts, die Rolle des verstoßenen Sünders erspart, weil alle Euro-Staaten ihre nationale Währung wiedereinführen.
 

Das Parallelwährungssystem umgeht die Schwächen der ansonsten durchaus bedenkenswerten Nordeuro-Südeuro-Lösung Hans-Olaf Henkels bzw. der “Guldenmark”-Lösung Markus Kerbers. Ein Südeuro hätte aufgrund der ökonomischen Divergenzen der Teilnehmerländer ohnehin nicht lange Bestand, das Grundproblem der Eurozone würde sich in ähnlicher Form fortsetzen. Auch bei der Nordeuro- bzw. “Guldenmark”-Lösung kann nicht garantiert werden, dass alle Teilnehmerstaaten (Deutschland, Niederlande, Österreich, Finnland) auf Dauer mit einer gemeinsamen Währung zurechtkommen. Ein asymmetrischer Schock, der zum Beispiel die Niederlande stärker als die anderen Teilnehmerstaaten trifft – und schon stünde auch die Nordeurozone vor dem Aus. Dann kann man gleich zu nationalen Währungen zurückkehren. Ferner würden sich die Staaten, die nicht der “First class” des Nordeuro angehören, nicht stigmatisiert fühlen, da die gesamte Eurozone den Euro behält und dennoch zu ihren nationalen Währungen zurückkehrt. Hier ist insbesondere an Frankreich zu denken. Obwohl ökonomisch goldrichtig, ist die Nordeurogrenze am Oberrhein die größte Schwäche des Nordeuromodells, weil sie politisch nur unter Inkaufnahme schwerster Verwerfungen im deutsch-französischen Verhältnis durchzusetzen wäre.
 

Eine geordnete Rückkehr zu nationalen Währungen, ohne den Euro als Parallelwährung zu behalten, – aber erst recht ein chaotischer Zusammenbruch der Eurozone – gefährdet andere wichtige und freiheitsfördernde Errungenschaften wie den Europäischen Binnenmarkt ernsthaft, auch wenn dies von den Euro-Kritikern oft geleugnet wird. Schon jetzt steht zum Beispiel das Schengener Abkommen regelmäßig unter Beschuss – mal von französischer, mal von dänischer, mal von deutscher Seite -, weil es in Mode gekommen ist, gegen die europäische Integration an sich zu wettern. Bei einem Zusammenbruch der Eurozone würden heftige Verteilungskämpfe ausbrechen, die die EU mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde. Eine geordnete Auflösung der Eurozone müsste mit chirurgischer Präzision erfolgen, die den europäischen Politikern angesichts der Komplexität eines solchen Unterfangens Übermenschliches abverlangen würde. In beiden Fällen würde sich eine unkontrollierbare negative politische Dynamik in der EU entfalten, die insbesondere dem Binnenmarkt und dem Schengener Abkommen schweren Schaden zufügen, wenn nicht sogar beide Errungenschaften in den Abgrund reißen würde. Dann wäre die EU politisch tot. Dies verhindert das Parallelwährungssystem, weil der Euro erhalten bleibt.
 

Die EU würde in ein neues Zeitalter der Prosperität eintreten, wie es bis zur Finanzkrise 2008 der Fall war. Die Länder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten wie Griechenland, Spanien oder Portugal kämen schnell wieder auf einen grünen Zweig, weil sie ihre Währung abwerten und damit ihre Unternehmen Waren billiger exportieren können. Umgekehrt können Hartwährungsländer wie Deutschland Vorleistungen billiger importieren. Es ist daher eine Mär, dass eine starke Währung den deutschen Export zusammenbrechen und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen lassen würde. Deutschland war auch schon zu D-Mark-Zeiten Exportweltmeister und wird auch nach einer D-Mark-Wiedereinführung in der ersten Liga mitspielen. Andere Hartwährungsländer wie Schweden sind ohne den Euro gut gefahren und weisen inzwischen ein deutlich höheres BIP pro Kopf als der Euro-Raum auf. Wer das immer noch nicht wahrhaben will, möge Thilo Sarrazins Buch “Europa braucht den Euro nicht” aufmerksam lesen.

Kurzum: Das Parallelwährungssystem hätte viele Vorteile und würde die EU zu einer neuen wirtschaftlichen Blüte führen.

Zugegeben: Professor Wilhelm Hankel ist durchaus keynesianisch geprägt, und auch sein Vorschlag eines parallelen Euro als “Urmetermaß” ähnelt Keynes’ Vorschlag, den “Bancor” als Weltwährung und Verrechnungseinheit zu schaffen. Er bewundert jedoch zugleich Ludwig Erhard und nimmt viele Anleihen bei der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Natürlich gilt weiterhin: Langfristig soll Hayeks Vision eines Wettbewerbs entnationalisierter Währungen in Europa das Ziel bleiben.

Doch auf dem Weg dorthin überzeugt das Konzept: Es ist der Königsweg aus dem verfahrenen Euro-Desaster. Daher: Professor Hankels Buch lesen! Weitersagen

Hankel, Wilhelm, Die Euro-Bombe wird entschärft, Wien 2013.

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